Zehn Jahre Hard­core, ohne Gefühle. Die Neun­ziger hatten es wirk­lich in sich. Man trug lila­far­bene Bal­lon­seide, Kla­via­tur­kra­watten und Stone-Washed-Jeans. Man sagte Sätze wie Bleib cremig“ oder Take it easy!“. Man tanzte zu Musi­kern, die sich Dr. Alban oder Had­daway nannten. Kurzum: Man nahm jedes Stil­ver­bre­chen mit, das sich einem in den Weg stellte.
 
Dirk Leh­mann war einer von ihnen. Er trug vier Ohr­ringe und einen dicken Ober­lip­pen­bart. Zudem färbte er sich den Pony blond und klebte seine Haare mit einer halben Tube Gel nach hinten. Ein Look, den in Deutsch­land jeder kannte, der seinen Urlaub mal am Bal­ler­mann ver­bracht oder seit den acht­ziger Jahren durch­ge­feiert hatte. Seine Freunde fanden das super. Sie sagten: Nur drei Leute können das tragen: Schi­manski, Wolle Petry und du!“ What is love?
 
Leh­mann war damals Bun­des­li­ga­stürmer. Seine Kar­riere hatte 1990 viel­ver­spre­chend beim dama­ligen Ober­li­gisten Ale­mannia Aachen begonnen, doch weil ihm danach in Köln, Cottbus oder beim bel­gi­schen Klub SK Lierske nicht mehr so viel gelang, wech­selte er 1998 nach London, zum FC Fulham. Es war der Beginn einer kuriosen Kar­riere neben der Kar­riere. 

Dirk, Por­no­star!“
 
Leh­mann spielte anfangs ganz ordent­lich, in den ersten fünf Spielen erzielte er drei Tore, und so fragte man sich bald, warum er es in Deutsch­land nie so richtig geschafft hatte und warum sein voriger Trainer, Eduard Geyer, ihn unbe­dingt los­werden wollte. Ein paar Wochen später hatten zumin­dest die Fans die Erklä­rung: Dirk Leh­mann musste neben­be­ruf­lich als Por­no­star gear­beitet haben, wes­wegen er im prüden Deutsch­land nicht mehr Fuß­ball spielen durfte. Zur nächsten Partie brachten sie ein Bett­laken mit, auf dem stand: Dirk, Por­no­star!“ Leh­mann war ver­wun­dert, denn er wusste eines sicher: Er war ein Fuß­baller, ein Stürmer, ein Aachener, 1,84 Meter groß – doch kein Por­no­star.
 
Heute gibt es etliche Ver­sionen für die Ent­ste­hung dieser Geschichte, die am Anfang mal ein Witz gewesen war und sich schließ­lich zu einem Gerücht ver­selbst­stän­digte. Die nahe­lie­gendste Erzäh­lung geht so, dass Leh­manns Aus­sehen im Eng­land der späten Neun­ziger schon lange nicht mehr populär war. Die Aus­nahme bil­deten bis dahin alternde Por­no­dar­steller oder David Seaman – aber der war ja eh ein biss­chen son­derbar. Dem­entspre­chend ver­wun­dert reagierten die Fans, als sie Leh­mann zum ersten Mal sahen. Ein Anhänger soll gerufen haben: Der sieht ja aus wie ein Por­no­star!“, wor­aufhin der gesamte Block ein­stimmte: Dirk, Por­no­star!“ 
 
Eine andere Ver­sion beginnt in einem Taxi. Ein Lon­doner Fahrer soll eine Ähn­lich­keit zwi­schen seinen Lieb­lings-Por­no­stars der Sieb­ziger und Leh­mann fest­ge­stellt haben. Und so erzählte er seinen Gästen und Taxi­fah­rer­kol­legen von dieser Erkenntnis: Leh­mann sei in Wahr­heit auch ein Por­no­star, wes­wegen er im prüden Deutsch­land nicht mehr spielen dürfe. Die Gäste und anderen Fahrer hörten zu und erzählten die Geschichte weiter.

Keegan gab dem Por­no­star eine Chance
 
Einmal saß sogar Leh­mann selbst in einem Taxi, in dem der Fahrer berich­tete: Wissen Sie, dass ein ehe­ma­liger Porno-Schau­spieler aus Deutsch­land zum FC Fulham gewech­selt ist? Der ist Fuß­baller in Deutsch­land gewesen, bis seine Ver­gan­gen­heit ans Licht kam. Da wollte ihn dort kein Verein mehr haben. Nur Kevin Keegan wollte dem Porno-Star noch eine Chance geben. Und stellen Sie sich vor: Der spielt bei Fulham richtig gut!“
 
Leh­mann lachte und klärte den Fahrer danach auf, dass er dieser Spieler sei, aber nie­mals ein Por­no­star war. Doch da war es schon zu spät., die Geschichte hatte sich unter Fah­rern und Gästen ver­breitet wie eine Spam-Mail.

Es lässt ihn nur noch geiler aus­sehen!“
 
Kurze Zeit später kam das Gerücht auch in den Medien an. David Lloyd, Her­aus­geber des Maga­zins There is only one F in Fulham“, schrieb einmal: Dass er seine Ohr­ringe wäh­rend der Spiele mit Pflas­tern zuklebt, lässt ihn nur noch geiler aus­sehen!“ Im Sta­dion trugen sie nun fal­sche Ober­lip­pen­bärte und prä­sen­tierten ihre Banner, auf denen zu lesen war: Super Dirk, Por­no­star!“ oder Tape Por­no­star!“
 
Weil Por­no­stars aber selten Leh­mann heißen, brauchte der Spieler auch einen Spitz­namen. Man nannte ihn kur­zer­hand Dirk Diggler. Der war in den Sieb­zi­gern und Acht­zi­gern mit dem angeb­lich größten Penis der Welt zum Super­star in der Porno-Szene auf­ge­stiegen. Ein Jahr zuvor, 1997, war sein Leben in Boogie Nights“ ver­filmt worden.

Leh­mann schaute sich danach einen kurzen Aus­schnitt aus dem Film an, doch er fand nicht, dass er und Dirk Diggler eine große Ähn­lich­keit hatten. Aber was sollte er machen, auch der Spitz­name hatte sich da längst über die Grenzen Lon­dons ver­breitet, und so begrüßten ihn die Leute in Black­pool, Leeds oder Bir­mingham eben­falls mit Mr. Diggler“, wäh­rend Freunde aus Deutsch­land anriefen und sagten: Hey Diggler, wie geht’s?“
 
Der Spieler konnte drüber lachen. Als er mal mit einem Mit­spieler im Taxi saß, erzählte er dem Fahrer, dass Kevin Keegan ihn tat­säch­lich aus dem Sumpf der Porno-Indus­trie gerettet habe. Der Fahrer war baff. Es stimmte also. Auch andere konnten irgend­wann die Ironie nicht mehr fassen, die Geschichte war ein­fach zu gut. In der Disco folgten sie ihm nun immer häu­figer auf die Toi­lette, um zu über­prüfen, ob er wirk­lich 40 Zen­ti­meter in der Hose habe.

Gefangen im Porno-Gag
 
Fuß­ball spielte Leh­mann in der Zeit auch, recht ordent­lich sogar. Mit Fulham stieg er auf, und plötz­lich lagen ihm über 25 Ange­bote aus Eng­land und Schott­land vor. Er ent­schied sich – viel­leicht auch, um dem Porno-Gag zu ent­kommen – für den Edin­burgher Erst­li­gisten Hiber­nian FC. Dort wurde es fast noch schlimmer. In der schot­ti­schen Haupt­stadt konnte er kaum unge­stört die Straße über­queren, ohne dass er von irgend­woher das Wort Por­no­star“ ver­nahm. Das Trikot mit der Neun und der Auf­schrift Porno“ war schon wenige Wochen nach seiner Ver­pflich­tung das meist­ver­kaufte.
 
Zugleich ent­wi­ckelte sich ein neuer Trend: Kinder klebten nun frei­willig ihre Ohr­läpp­chen mit weißen Pflas­tern ab, so wie es Leh­mann im Spiel tat, um seine Ohr­ringe zu schützen. Viel­leicht wurde es ihm da zu viel. Über Brighton & Hove Albion ging er zum schot­ti­schen Klub FC Mother­well. Nach seiner Ankunft sagte er: ich habe nun meinen Schnauzer abra­siert, und ich trage nur noch zwei Ohr­ringe.“ Langsam wurde es ruhiger um ihn.
 
Heute trai­niert Leh­mann den Kreis­li­gisten Ale­mannia Bour­heim. Auch die blonden Strähnen sind weg. Den­noch: Einen edlen Spitz­namen wie Dirk Diggler“ wird man nicht ein­fach so los. Das weiß auch Leh­mann. Einmal Por­no­star, immer Por­no­star“, sagte er mal dem Spiegel. In Schott­land und Eng­land nennen sie ihn immer noch Dirk Diggler. Dabei hat er den Film Boogie Nights“ bis heute noch nie kom­plett gesehen.

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